Die Geschichte, Theorie und Praxis des chinesischen Schröpfens

 Das Schröpfen, das in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) als eine der wichtigsten und ältesten therapeutischen Methoden gilt, wurde im Laufe der Zeit unter verschiedenen Namen und in unterschiedlichen Formen bekannt. In den frühesten Aufzeichnungen wird es als „角法“ (jiǎo fǎ) bezeichnet, wobei „角“ ursprünglich Tierhorn bedeutete. Mithilfe dieser Hörner wurde ein Vakuum erzeugt, um pathologische Stoffe aus dem Gewebe nahe der Hautoberfläche zu entfernen. Das moderne Schröpfen („拔罐“, bá guàn) ist letztendlich eine weiterentwickelte und modernisierte Version dieser Horn-Technik: Heute werden nicht nur Tierhörner, sondern auch zahlreiche andere Materialien wie Bambus, Glas, Keramik, Metall oder Kunststoff verwendet, um den Unterdruck zu erzeugen. Im Laufe der Jahrtausende hat sich diese Methode sowohl in ihren Materialien als auch in ihrem Anwendungsspektrum erheblich weiterentwickelt.

Im Folgenden wird ein umfassender Überblick über die Ursprünge, die historische Entwicklung, die theoretischen Hintergründe und die praktische Anwendung des Schröpfens gegeben, um zu zeigen, wie das alte „角法“ – die Horntherapie – zu dem heute bekannten „拔罐“, dem modernen Feuer-Schröpfen, wurde.


Das alte „角法“ – Ursprünge und die Vakuumerzeugung mit Tierhörnern

Die Wurzeln in der TCM

Das heutige Schröpfen hat seine Wurzeln in mehr als zweitausend Jahren Geschichte. Die frühesten Hinweise auf das „角法“ stammen aus medizinischen Schriften der frühen Westlichen Han-Dynastie (3. Jahrhundert v. Chr.), die in den berühmten Mawangdui-Gräbern gefunden wurden. In den sogenannten „52 Krankheiten-Rezepten“ („五十二病方“) wird beschrieben, wie Tierhörner verwendet wurden, um ein Vakuum zu erzeugen, das beispielsweise bei äußeren Hämorrhoiden oder Abszessen genutzt wurde, um pathologische Flüssigkeiten wie Eiter und gestautes Blut abzusaugen.

Diese einfache Methode war vor allem für die Behandlung von äußeren, entzündlichen Beschwerden gedacht. Die Therapeuten erkannten schnell, dass das Absaugen von stagnierenden Flüssigkeiten die Heilung fördern und die Schmerzen lindern konnte.

Erste Anwendungen: Behandlung äußerer Entzündungen

Zu den primären Indikationen des „角法“ gehörten äußere Hämorrhoiden, Abszesse und kleinere Furunkel. Ziel war es, die Entzündungen zu reduzieren, indem gestautes Blut und Eiter entfernt wurden. Allerdings waren die ersten Versuche nicht risikofrei: Das Fehlen von Sterilität und die ungenaue Diagnostik führten oft zu schweren Komplikationen.


Die Entwicklung der „针角“-Technik: Kombination von Nadeln und Horn

„针角“: Nadeln und Horn in Kombination

Während der Wei-, Jin- und Süd-Nord-Dynastien (3.–6. Jahrhundert) wurde die Methode des „角法“ weiterentwickelt, indem sie mit Akupunktur kombiniert wurde. Diese Technik, die als „针角“ (zhēn jiǎo) bekannt ist, beinhaltete zunächst eine kleine Öffnung der Haut (durch Einstich oder Schnitt), um den Abfluss pathologischer Flüssigkeiten zu erleichtern, bevor das Tierhorn zur Absaugung eingesetzt wurde.

Aufstieg der Popularität und erste Einschränkungen

Mit der zunehmenden Popularität der Methode wurden jedoch auch deren Grenzen und Risiken deutlich. Die medizinischen Texte der Zeit warnten vor übermäßiger oder unsachgemäßer Anwendung, insbesondere bei großen Abszessen oder stark entzündeten Bereichen.


Die Tang-Dynastie: Institutionalisierung des „角法“

Einführung in die medizinische Ausbildung

In der Tang-Dynastie (7.–10. Jahrhundert) wurde das „角法“ als eigenständige Disziplin in die offizielle medizinische Ausbildung integriert. Es gab spezialisierte Abteilungen, die sich mit der praktischen Anwendung dieser Technik befassten.

Von Tierhorn zu Bambus und Wasser-Schröpfen

In der Tang-Zeit begann der Übergang von Tierhörnern zu anderen Materialien wie Bambus. Gleichzeitig wurde das sogenannte „Wasser-Schröpfen“ („水罐法“) entwickelt, bei dem Bambuszylinder in heißem Wasser erhitzt wurden, um ein Vakuum zu erzeugen. Dies war nicht nur effektiver, sondern auch hygienischer und praktischer.


Ming- und Qing-Dynastie: Das Schröpfen für innere und äußere Beschwerden

Erweiterung des Anwendungsspektrums

In der Ming- und Qing-Dynastie (14.–20. Jahrhundert) wurde das Schröpfen zunehmend auch für innere Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen oder Rheuma eingesetzt. Dies wurde durch die Theorie der TCM unterstützt, dass äußere Behandlungen auch auf die inneren Organe wirken können, da diese über Meridiane und Akupunkturpunkte mit der Hautoberfläche verbunden sind.

Das moderne Feuer-Schröpfen („火罐“) entsteht

In der Qing-Dynastie setzte sich das „Feuer-Schröpfen“ durch, bei dem das Vakuum durch eine Flamme erzeugt wird. Diese Methode ist einfacher und schneller als das traditionelle Wasser-Schröpfen und wird bis heute weltweit angewendet.


Das Schröpfen in der modernen Welt

Neue Materialien und Technologien

Heutzutage gibt es neben den traditionellen Schröpfgläsern auch moderne Varianten aus Kunststoff mit Pumpmechanismen. Einige Schröpfsets kombinieren Magnetfelder oder Infrarotwärme, um die therapeutische Wirkung zu verstärken.

Klinische Anwendungen und Forschung

Das Schröpfen wird in der modernen Medizin häufig bei Muskelverspannungen, Rückenschmerzen, rheumatischen Beschwerden und sogar bei Atemwegserkrankungen eingesetzt. Zahlreiche Studien untersuchen die Wirksamkeit dieser Methode, und die bisherigen Ergebnisse bestätigen die Durchblutungsförderung und muskelentspannende Wirkung des Schröpfens.


Fazit

Das Schröpfen hat sich über Jahrtausende hinweg von einer einfachen Methode zur Behandlung äußerer Beschwerden zu einer vielseitigen Therapie entwickelt, die auch in der modernen Medizin einen festen Platz hat. Als Teil der Traditionellen Chinesischen Medizin symbolisiert es die Verbindung von alten

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